Der Libanon auf neuem Sparkurs: Die Armen sind die Verlierer
Im Libanon arbeitet der parlamentarische Haushaltsausschuss an dem 2019 Entwurf für das kommende Jahresbudget. Von dem Plan werden einschneidende Sparmaßnahmen im öffentlichen Sektor erwartet, um die 11 Milliarden US-Dollar an Darlehen und Zuschüssen freizusetzen, die die internationalen Gemeinschaft, die Weltbank und der Internationale Währungsfond zugesagt haben.
Doch vor dem Parlament und dem Grand Serail in Downtown Beirut protestieren VeteranInnen und Angestellte im öffentlichen Dienst gegen den geplanten Arbeitsplatzabbau, gegen Gehalts- und Rentenkürzungen.
Das kleine Küstenland im Mittelmeer hat es verhindern können, in den Sog des Kriegs in Syrien und anderer Konflikte in der Region mithinein gezogen zu werden, doch verschlechtert sich seine Wirtschaftslage zunehmend: Die Wachstumsprognose für 2019 liegt bei 0%, die libanesische Schuldenstandsquote ist mit 150% eine der höchsten weltweit.
Libanons wirtschaftlichen Probleme sind allerding keine neue Entwicklung - sie wurden lediglich ausgebremst. Seit dem Ende des Bürgerkriegs 1990 hat der Libanon mithilfe der Zentralbank (Banque du Liban) den totalen wirtschaftlichen Zusammenbruch durch eine Reihe von Finanzsteuerungsmaßnahmen zu vereiteln gewusst. Dazu zählt nicht zuletzt die Anbindung des Libanesischen Pfunds an den US-Dollar im Jahr 1997, um eine Hyperinflation der Währung zu verhindern.
Fast dreißig Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs ist die libanesische Wirtschaft heute in einer misslichen Lage, aus der sie auch die andauernden Notfallmaßnahmen der Banque du Liban nicht mehr retten können. Der libanesische Ökonom Dr. Jad Chaaban beschreibt die aktuelle Wirtschaftslage mit dem Begriff der Stagflation: ein ständiger Preisanstieg ohne Wirtschaftswachstum.
Zudem kämpft der Libanon mit einer der höchsten Einkommensungleichheitsraten weltweit. Gerade einmal 1% der erwachsenen Bevölkerung erwirtschaftet 25% des gesamten Nationaleinkommens, bei 10% sind es rund 55% - die verbleibenden 89% der Erwerbstüchtigen müssen sich mit 20% des Gesamteinkommens begnügen.
Anstatt jedoch Maßnahmen gegen “großangelegte Steuerhinterziehung von Unternehmen und Vielverdienern” zu implementieren, sieht der Staat Budgetkürzungen im öffentlichen Sektor vor, wie das libanesische Center for Policy Studies angibt.
Viele öffentliche Schlüsselinstitutionen werden zwar oft als überbesetzt und aufgeblasen kritisiert, sind im Gegenteil jedoch tatsächlich ernsthaft unterbesetzt und nur mit einer minimalen Finanzierung ausgestattet. Gleichzeitig nehmen Wirtschaftskorruption und verschwenderische Staatsausgaben erschreckende Ausmaße an.
Der öffentliche Sektor im Libanon: Ein politisches Instrument
Im Libanon fungiert der öffentliche Sektor nicht als Dienstleistungserbringer, sondern als politisches Instrument, von dem die Einflussreichen Gebrauch machen, um politische Loyalitäten zu generieren und Wahlstimmen einzustreichen. Etwa 15.000 der 100.000 Angestellten im öffentlichen Dienst, mit Ausnahme des Militärs und der Sicherheitsbehörden, sind auf “illegalem” Weg zu ihren Arbeitsplätzen gekommen: so gab es etwa 2018 - verdächtig kurz vor den Parlamentswahlen - etwa 5.000 Neueinstellungen.
Mit Leistungen wie sicheren Rentenzuschlägen sind Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst mehr als begehrt, und werden als eine Art persönlichen Gefallens vergeben - eine vieler wirkungsvoller Strategien, um politische Loyalitäten zu gewinnen.
Tatsächlich gibt es zahlreiche öffentliche Institutionen im Libanon, die auf dem Papier existieren und Personal beschäftigen, allerdings keinerlei Funktion haben. Die libanesische Eisenbahngesellschaft zum Beispiel, die seit 1989 inaktiv ist, beschäftigt mit einem Jahresbudget von fast 9 Millionen US - Dollar rund 300 MitarbeiterInnen.
Funktionstüchtige und wichtige öffentliche Institutionen finanziell verhungern zu lassen, ist wiederum genauso entscheidend für die Etablierung eines loyalen politischen Klientels, zumal politische Parteien und Interessensgruppen das so entstandene Vakuum mit ihrem Eigenvermögen, ihren Unternehmen und Wohltätigkeitsorganisationen zu schließen vermögen - oft auch mithilfe eng verwobener Familiengeschäfte.
Al Jazeera gegenüber gaben zahlreiche Angestellte zu Protokoll, dass Stipendienvergabe, Kredite und Arbeitsplatzvergabe, sowie Subventionierung von Mietkosten, medizinischer Versorgung und anderer Leistung im Gegenzug für Wahlstimmen an der libanesischen politischen Tagesordnung stünden.
Ein funktionsfähiger öffentlicher Sektor und ein soziales Auffangnetz, das ein gutes Bildungssystem und die öffentliche Gesundheitsversorgung im Libanon sicherstellen könnte, würden den Interessen besagter Familienunternehmen zuwider laufen und in Stimmenverlusten für die machthabenden Parteien resultieren. Der Einzug neoliberaler Wirtschaftsstrukturen seit dem Ende des Bürgerkriegs ist bei diesem Prozess nicht zu unterschätzen: seit 1990 wurde eine Großzahl von Leistungen des öffentlichen Sektors, wie zum Beispiel die Abfallversorgung in Beirut und dem Mont Liban, in der Folge privatisiert.
Der öffentlichte Sektor am Ende seiner Kraft
Die libanesische Regierung sieht in dem neuen Haushaltsplan vor, den Einstellungsstop im öffentlichen Dienst bis 2022 zu verlängern. Die Begründung: Überbesetzung. Aber stimmt das?
Während eifrig daran gearbeitet wird, die Kapazität des einzigen internationalen Flughafens im Libanon auszubauen, ist die Generaldirektion des Zivilflugverkehrs mit nur einem Fünftel des notwendigen Personals besetzt. Auch Lebanon’s National Center for Scientific Research gibt an, dass es mit gerade einmal einem Drittel des eigentlich benötigen Personals operiert. Zu seinen Kernaufgaben gehören die Beobachtung von Erdbeben, Auswertung von Satellitenaufnahmen natürlicher Ressourcen und die Überwachung der Luft- und Lebensmittelqualität. Zu den Institutionen, die unter dem Einstellungsstop zu leiden haben, gehören auch die Public Corporation for Housing, die mittelständischen und wenigverdienenden libanesischen Haushalten bei der Wohnungssuche unterstützt, und die Litani River Authority, die die Verschmutzung libanesischer Flüsse untersucht und Bewässerungssysteme sowie Stromerzeugung überwacht.
Zahlreiche dieser ohnehin schon unterfinanzierten Schlüsselinstitutionen sollen also mit zusätzlichen Kürzungen belastet werden. Das Budget des Umweltministeriums, das mit jährlich 9.3 Millionen US-Dollar bereits erschreckend gering ausfällt, soll nun auf 8 Millionen US-Dollar runtergestuft werden- das drittkleinste Jahresbudget libanesischer Ministerien. Das Ministerium bereitet sich schon jetzt auf diesen neuen Sparkurs vor und hat die Luftverschmutzungsüberwachung landesweit eingestellt. Dabei liegt die Feinstaubverschmutzung in Beirut bei dem 150-200fachem Wert der WHO-Richtlinie. Neben schwerwiegender Gesundheitsrisiken kommt hier noch etwas zum Tragen: der Libanon kann es sich schlicht nicht leisten, dieses Ministerium dermaßen zu dezimieren, wo er doch auf ökologisches- und Umweltkapital für die Landwirtschaft und den Tourismus angewiesen ist. Zudem zählt das Umweltministerium bereits zu den libanesischen Ministerien, die für zahlreiche Projekte finanziell von den United Nations Development Programme unterstützt werden. Ob die Zuständigkeit für die Luft-Überwachungsstationen nun in den Privatsektor ausgelagert werden wird, oder ob sie Finanzierung durch eine andere Institution erhält, bleibt unklar.
Eine weitere Institution, die neuem finanziellen Risiko ausgesetzt wird, ist die Lebanese University, die einzige staatliche libanesische Universität. 2018 wurden ihr gerade einmal mickrige 256.500.000 US-Dollar bereitgestellt. Als die Regierung dann weitere Kürzungen ankündigte, streikten viele ProfessorInnen für über einen Monat im ganzen Land. Die Studiengebühren privater Universitäten werden gleichzeitig ständig erhöht.
Mehr für die Reichen, immer weniger für die Armen
Der Internationale Währungsfond hält die geplanten Sparmaßnahmen für unzureichend und fordert weitreichendere Reformen, wie unter anderem Erhöhung der Kraftstoff-, Umsatz- und Mehrwertsteuer. Die libanesische Regierung hatte derartige Forderungen schon zu früheren Zeitpunkten diskutiert, was zahlreiche Proteste nach sich zog. Auch das Verbrauchervertrauen fiel spürbar weiter ab.
Verschwenderische Staatsausgaben sind im Libanon zweifellos ein wichtiger Punkt, doch verschleiert diese Problematik die signifikante wirtschaftliche Ungerechtigkeit, die in dem Land herrscht. Stellt man den Libanon wirtschaftlich vergleichsweise ähnlich starken Nationen gegenüber, wird nämlich deutlich, dass die pro Kopf Investitions- und Kaufkraft am BIP gemessen eine der niedrigsten ist.
Und so rollt der Staat weiterhin lieber den roten Teppich für die Reichsten der Reichen und ihre Konzerne aus, anstatt den öffentlichen Sektor dahin zu bringen, Gesundheitsfürsorge, Bildung und andere Grundrechte bereitstellen zu können. Seit 2008 stellen nämlich die Einnahmen aus Einkommens - und Gütersteuern, die vorallem auf Schlecht- und Besserverdiener abfallen, den Großteil des staatlichen Steueraufkommens. Vermögens- und Körperschaftssteuern, die die Einkommensstarken zu zahlen haben, fallen weit weniger ins Gewicht. Letztere zählen zu den am niedrigsten angelegten Steuern weltweit.
Werden die Gehälter für Angestellte im öffentlichen Dienst auch nur um 10% gekürzt, so wird das katastrophale Auswirkungen haben: Für mehr als 50.000 LibanesInnen würde das bedeuten, unter die Armutsschwelle zu fallen - also ein 40%ger Anstieg in Familien, in denen mindestens ein Mitglied im öffentlichen Dienst tätig ist.
Die geplanten Steuererhöhungen werden Einzelpersonen, vorallem ArbeiterInnen, hart treffen - Konzerne und Unternehmen bleiben weiterhin außen vor, während das Haushaltsbudget für den öffentlichen Sektor, Löhne, Arbeitsstellen und als Folge, Dienstleistungen, minimiert wird. Für die Mehrheit der LibanesInnen ist es so unmöglich, ihre Lebensbedingungen in irgendeiner Form merklich zu verbessern.
Während die oberen 10% weiter Vermögen anhäufen, geht es für die restlichen 90% der Bevölkerung bergab. Die ArbeiterInnen sind in diesem Prozess die klaren Verlierer. Für sie bedeutet die neue Sparpolitik eine deutliche Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen und noch größere finanzielle Hürden für Dienstleistungen aus dem Privatsektor - und der Schattenwirtschaft.
Die Fage bleibt: Welche Art Wirtschaftssystems strebt der Libanon hier an, wenn er die wirtschaftlich Schwächsten weiter gefährdet und es den Reichen ermöglicht, noch reicher zu werden?