Die Aubergine als Retterin in der Not
Über die verheerenden Auswirkungen der Sanktionen auf die Bevölkerung im Irak.
Wirtschaftssanktionen werden im Kontext der Menschenrechtsverbrechen in Syrien oder in der Ukraine, aber auch in anderen politischen Zusammenhängen als ein friedliches Mittel oder eine Alternative zu Krieg diskutiert. Dabei gelten die Sanktionen im Irak oft als Beispiel dafür, wie verheerend sich Sanktionen auf die Bevölkerung auswirken, während sie gleichzeitig wirkungslos gegen diktatorische Regime sind. Wie sich die mehr als zehnjährige Sanktionsphase von 1991 bis zur US-Invasion von 2003 auf die Lebensrealität der Menschen ausgewirkt hat, berichten im Folgenden einige Iraker*innen.
Wahsch al-Tawa, «das Monster der Pfanne» oder auch «der König der Pfanne» bezeichnet die Aubergine als ein Gemüse, das häufig in den Pfannen irakischer Haushalte während der Sanktionsphase verwendet wurde. Auberginen waren günstig und konnten auf unterschiedliche Art und Weise, zum Beispiel auch als Fleischersatz, verwendet werden, erzählt Yazen Adnan von der Gruppe Workers against Sectarianism. Wahsch al-Tawa wurde zum Retter in der Not und damit für viele Iraker*nnen zu einem Symbol für die Sanktionsphase, in der Lebensmittel knapp waren und die irakische Bevölkerung notgedrungen kreativ mit der Situation umgehen musste.
Krieg und Aufstand zu Beginn der Sanktionsphase
Am 6. August 1990 verhängte der UN-Sicherheitsrat die UN Resolution 661 gegen den Irak. Außer einigen medizinischen Gütern wurden alle Importe und Exporte verboten. Besonders in den ersten Jahren der Sanktionierung hatte dies katastrophale Auswirkungen, denn der Irak hatte bis dahin zwei Drittel seiner Nahrungsmittel importiert. Es wird davon ausgegangen, dass 31 Prozent der Kinder unter fünf Jahren in dieser Zeit an Unterernährung litten. Die Sanktionen folgten auf eine lange Kriegsphase, von 1980 bis 1988 währte der zermürbende Iran-Irak Krieg mit mehr als 1 Millionen Opfer. Im Anschluss daran befahl Saddam Hussein im Jahr 1990 den Einmarsch in Kuwait, infolgedessen die USA den Irak aus Kuwait zurückdrängte und dabei gezielt die Infrastruktur des Iraks bombardierte.
Die Sanktionen kamen zum einen nach einer Dekade Krieg, in der Saddam Hussein 1988 einen Giftgasangriff auf den Norden des Irak, auf Kurdistan, befehligte. Zum anderen folgte die Sanktionsphase auch einem revolutionären Aufstand der irakischen Bevölkerung. 1991 kam es zunächst im Süden des Irak und anschließend in Kurdistan zu einem Aufstand der irakischen Bevölkerung. Viele Iraker*innen sind bis heute die bittere Erinnerungen an die Botschaft der amerikanischen Truppen im Kopf, die über das Radio verkündeten, sie würden die Proteste gegen Saddam Hussein unterstützen und die Bevölkerung schützen. Als Saddam Hussein die Aufstände brutal niederschlug, agierten die USA jedoch nicht. Tausende Iraker*innen wurden umgebracht und flohen in die Türkei, nach Jordanien, in den Iran oder nach Saudi-Arabien.
Kurdistan und Irak gingen getrennte Wege
Im Norden des Landes, in Kurdistan, wurde eine Flugverbotszone eingerichtet, damit verlor Saddam Hussein die Kontrolle über die heute autonome Region Kurdistan-Irak. In Kurdistan übernahmen ab 1991 zwei kurdisch-nationalistische Parteien, die Kurdistan Democratic Party und die Patriotic Union of Kurdistan, nacheinander die Regierung. In der Sanktionsphase war die kurdische Region nun abgetrennt vom Rest des Irak und erlebte auch die Sanktionszeit anders. Während Kurdistan die ersten Experimente der Selbstregierung ausprobierte, ging das Leben der Menschen im Zentral- und Südirak, unter dem Regime von Saddam Hussein, weiter.
Uday Hussein im Porsche und symbolische Gehälter
«Wir wussten, dass diese Sanktionen Saddam nicht beeinflussten und dass es ihm gut ging. Im Fernsehen sahen wir den Sohn Saddams, Uday Hussein, der in einem Porsche durch die Stadt fuhr während das Volk nichts zu essen hatte. Das war nicht mal versteckt. Die Sanktionen trafen am meisten das irakische Volk selbst», erzählt Yazen Adnan weiter.
Die Sanktionen waren unter anderem spürbar bei den Gehältern von Staatsangestellten. Ahmed Hussein vom Amarchi Center in Bagdad berichtet, wie seine Eltern als Beamte im Staatsdienst während der Sanktionsphase ca. 3000 irakische Dinar (ca. 30 USD) Gehalt erhielten, während ein Kilo Mehl 7000 Dinar (ca. 68 USD) kostete. Plötzlich waren alle arm; um diese Umstände gemeinsam zu überstehen, nahm die Solidarität unter den Menschen zu: In den Nachbarschaften teilten Menschen auf den Straßen zusammen Brot und Dattelsirup als Mahlzeit. Diese Art des gesellschaftlichen Zusammenhaltes war notwendig, um in dieser Zeit zu überleben.
Für die Menschen im Irak war deutlich, dass die Sanktionen das Regime von Saddam Hussain nicht nur nicht schwächten, sondern vielmehr die Bevölkerung, die vor Beginn der Sanktionen das Regime fast eigenhändig gestürzt hatte, völlig ausbluten ließen: «Wie konnten die Sanktionen gegen Saddam Hussein gerichtet sein, wenn sie die Bildung, die Ernährung, die Infrastruktur im Irak angriffen?», fragt Dr. Mohammed Yaseen aus der Region Anbar, der heute in Bagdad lebt und Dozent für Pilzkunde (Biologie) ist.
Landwirtschaft wurde zentral für das Regime von Saddam Hussein
Dr. Mohammed Yaseen, der auch Teil des irakischen Ernährungssouveränitätsnetzwerks Guez u Nakhl ist, berichtet, dass das Regime Saddam Hussein zu Beginn der Sanktionen relativ schnell in die Landwirtschaft investierte. Auf dem Land sollte es den Menschen bessergegangen sein als in der Stadt, da ihnen vom Staat Pestizide, Saatgut und Wasser frei zur Verfügung gestellt wurden, um vor allem Weizen und Gemüse anzubauen. Auch Ruzgar, Mitglied von Guez u Nakhl, der in Yousefiya, dem Umland von Bagdad aufgewachsen ist, erzählte, wie seine Familie aufgrund der Kampagne zur Bodenentsalzung ganz zu Beginn der Sanktionsphase zum ersten Mal den gesamten Boden ihrer Farm zur Landwirtschaft nutzen konnte. Der Weizen musste damals zu festen Preisen an den Staat verkauft werden, der ihn wiederum verteilte.
Bei diesen Maßnahmen ging es allerdings nicht darum, die Lebensqualität von Bäuer*nnen zu verbessern. Es ging vielmehr darum, das eigene Regime aufrecht zu erhalten durch die Sicherung von nahrhaftem und hochwertigem Essen, von dem die eigene Bevölkerung jedoch nichts hatte. So erzählt Dr. Mohammed Yaseen, wie Saddam Hussein und seine Familie sich den Reis in der Region um Najaf, eine der besten Reissorten im Irak, sicherten. Er erinnert sich auch daran, wie erst nach dem Fall von Saddam Hussein klar wurde, dass in seiner Gegend eine Fischzucht betrieben wurde. Zu Sanktionszeiten habe man davon nichts gewusst und auch nichts von den Fischen gesehen.
Ernährung als Waffe in den Händen Saddam Husseins
Während der Sanktionsphase entwickelte sich der Zugang zu Nahrung zu Waffe und Kontrollinstrument gegen die eigene Bevölkerung in den Händen des Regimes. Dr. Mohammad Yaseen:
«Ich war sechs Jahre alt, als die Sanktionen begannen und zum Ende war ich 16 Jahre. Ich litt als Kind unter Dehydrierung. Als wir ins Krankenhaus mussten, war die Lage katastrophal. Es war traumatisch zu erleben, dass viele aufgrund einfacher Krankheiten, Dehydrierung oder Unterernährung gestorben sind. Es gab besonders zu Beginn keine Medikamente. Babymilch durfte nicht in der Irak eingeführt werden, was dazu führte, dass viele kleine Kinder unterernährt waren. Ab 1996 wurde es besser, als das Oil-for-Food Programm eingeführt war. Ab da haben wir Grundnahrungsmittel wie Mehl, Reis, Zucker und Tee über das zentrale Essensverteilungssystem erhalten. Einfaches Gemüse mussten wir kaufen und Obst war nahezu unbezahlbar. Während der gesamten Zeit habe ich keine Äpfel gegessen, geschweige denn Bananen gesehen».
Tatsächlich verbesserte sich die humanitäre Lage in der Zeit, als das Oil-for-Food Programm eingeführt wurde. Gleichzeitig nutzte Saddam Hussein das System auch, um seine Macht auszubauen, indem zum Beispiel Essensrationen an Oppositionelle und ihre Familien verweigert wurden. Letztendlich blieb die Verteilung des Essens in der Hand des Regimes, das dieses als Machtinstrument nutzte.
Das ökonomische System der Abhängigkeit der Bevölkerung vom Staat und von verschiedenen Milizen und Parteien ist bis heute ein wichtiges Charakteristikum der irakischen, einschließlich der kurdisch-irakischen, Ökonomie. Für die Menschen im Irak war die Sanktionsphase eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Katastrophe, die bis heute prägend ist. Dies muss bei jeglichen Diskussionen zu Sanktionen in anderen Kontexten beachtet werden.